Homo Reciprocans versus Homo Oeconomicus

von Ioannis Alexiadis

Welches Menschenbild entspricht menschlichem Verhalten?

Menschliches Verhalten ist in sozialen Netzwerken, wie sie in der Wirtschaft oder Politik zuhauf vorkommen, von zentraler Bedeutung. Daher bemühen sich die Wirtschaftswissenschaften Modelle des Menschen zu erzeugen, um dessen Verhalten besser analysieren zu können. Ein beliebtes und oft verwendetes Modell ist das des Homo Oeconomicus.

Homo Oeconomicus

Der Homo Oeconomicus ist ein Nutzenmaximierer, der rational handelt um seine Ziele zu verwirklichen. Er ist keineswegs als Äquivalent zu realem, individuellem Verhalten zu sehen, sondern dient der Wissenschaft zu Analysezwecken um aggregiertes, menschliches Verhalten auf Gesellschaftsebene zu untersuchen.
Die Frage nach seiner Gültigkeit wird von seinen Vertretern mit der Evolutionstheorie begründet. Demnach überleben am Markt langfristig nur die fittesten Teilnehmer, was dazu führt, dass nur deren Verhalten für das Modell relevant ist.
Ein erweiterter Ansatz, der aggregiertes, menschliches Verhalten besser erklären kann, ist der Homo Reciprocans.

Homo Reciprocans

Der Homo Reciprocans basiert auf der Idee, dass Menschen sich reziprok verhalten, d.h. sie belohnen (aus ihrer Sicht) faires Verhalten und bestrafen unfaires Verhalten, selbst wenn für sie dadurch Kosten entstehen.

Es existieren gesellschaftliche Regeln und Normen die das Verhalten von Individuen durch informelle Mechanismen steuern. Damit ein Verhalten als fair wahrgenommen wird, muss eine Reduktion von Knappheit einer Art, durch die Erhöhung von Knappheit einer anderen Art gerechtfertigt werden. Dies geschieht bspw. wenn ein Mensch Geld gegen Arbeitszeit eintauscht.
Des Weiteren weisen Menschen ein bedingtes Verhalten auf. Ihre Handlungen hängen von den Erwartungen ab, wie sich andere Menschen verhalten. Daher ist ihr Umfeld entscheidend, da in unklaren Situationen die mit Unsicherheit verbunden sind, Menschen dazu neigen andere Menschen zu imitieren.

Gerechtigkeitssinn

Politik, Medien und Gesellschaft können das wahrgenommene Gerechtigkeitsgefühl beeinflussen, da das menschliche Denksystem anfällig für äußere Einflüsse ist. Unser Gerechtigkeitsempfinden ist selektiv, es blendet Aspekte aus und betont andere überproportional. Dies lässt sich anhand des Konzepts des Moral Hazard veranschaulichen. Moral Hazard beschreibt Vorgänge, bei denen Menschen Risiken eingehen wodurch sie andere Menschen gefährden, für die daraus resultierenden Schäden aber nicht haften. Ein solches Verhalten wird von den meisten Menschen natürlich als ungerecht erachtet, vor allem wenn Risiken bewusst, zum eigenen Vorteil, verborgen werden. Maßnahmen zur Bekämpfung von Moral Hazard werden aber nur selten auf breiter Basis diskutiert, sondern selektiv durch das Heranziehen von einzelnen Sündenböcken kommuniziert.

Literatur:

Falk, Armin: Homo Oeconomicus versus Homo Reciprocans: Ansätze für ein neues Wirtschaftspolitisches Leitbild? Perspektiven der Wirtschaftspolitik 4.1, 2003.

Franz, Stephan: Grundlagen des ökonomischen Ansatzes: das Erklärungskonzept des Homo Oeconomicus. Univ. Potsdam Department of Macroeconomics, 2004.

Girard, René: Figuren des Begehrens. Das Selbst und der Andere in der fiktionalen Realität. 2. Auflage LIT, Münster, 2012.

Gowdy, John; Iorgulescu, Raluca; Onyeiwu, Stephen: Fairness and retaliation in a rural Nigerian village. Journal of economic behavior & organization 52.4, 2003.

Güth, Werner; Kliemt, Hartmut: Evolutionstheorie und Ökonomik. 2009.

Taleb, Nassim Nicholas; Sandis, Constantine: The skin in the game heuristic for protection against tail events. Review of Behavioral Economics, 2014.

Thüsing, Gregor: „Florida-Rolf“ – Von der Macht der Medien und dem Sinn der Sozialhilfe. NJW H 45, S. 3246-3248, 2003.


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