Gruppenpsychologie und Konsequenzen
Zuerst soll hier kurz auf die Psychologie der Gruppendynamik eingegangen werden. Gruppen fordern internen Zusammenhalt. Durch die Normen der Gruppe wird die Konformität der Gruppenmitglieder gefördert. Dies gilt nicht nur für Individuen innerhalb einer Gruppe, sondern auch für kleinere Gruppen innerhalb einer großen Gruppe.
Individuen haben ein Bedürfnis nach Sicherheit und Zugehörigkeit und sind dafür bereit Teile ihrer Individualität preiszugeben. Solange die Gruppen- und Individualbedürfnisse im Einklang sind profitieren beide Seiten davon, andernfalls kann es zu Konflikten kommen.
Nun stellt sich für Minderheiten in Gruppen nicht nur die Frage zwischen Integration oder Nicht-Integration, sondern auch die zwischen Integration oder Assimilation.
Symmetrie ist nicht gleich Symmetrie
Integrationsdebatten beschäftigen sich mit der Frage wie man Einwanderer am besten in eine Gesellschaft integrieren sollte. Was in diesen Debatten nicht besprochen wird, ist der feine Unterschied zwischen Integration und Assimilation. Eine kurze Begriffsbestimmung:
Integration bedeutet, dass die ursprüngliche Kultur und Identität beibehalten wird, aber eine kulturelle (Beherrschung der Sprache und eingehen kulturfremder, sozialer Beziehungen) und strukturelle (Eingliederung in den Arbeitsmarkt) Anpassung stattfindet.
Assimilation hingegen führt zu einer kompletten Aufgabe der vormaligen Kultur und Identität. Die ursprüngliche Sprache wird nicht mehr gesprochen, die ursprünglichen Bräuche werden nicht mehr gepflegt. Assimilation ist ein irreversibler Prozess. Sind die kulturellen Wurzeln vergessen, bleibt für nachfolgende Generationen in der Regel nur noch eine oberflächliche Verbindung zur Herkunft der eigenen Familie. Eine Gesellschaft kann selbsterwählte oder auferlegte Schranken aufweisen, die Assimilation verhindern. Konstante Assimilationsschranken, die Minderheiten daran hindern „unsichtbar“ und angepasst zu wirken, können ihr äußeres Erscheinungsbild oder überlieferte und praktizierte, gruppenspezifische Traditionen sein. Die Gemeinschaft einer Minderheit ist in solch einem Fall zwar akzeptiert, offenbart aber sichtbare Kulturunterschiede zur Bevölkerungsmehrheit.
Integration bedeutet unvollkommene Symmetrie und Assimilation vollkommene Symmetrie in der kulturellen Dimension. Asymmetrisch wäre hingegen eine Ko-Existenz von Kulturen, wie sie in den Metropolstädten der Levante früher gängig war (Smyrna, Saloniki, Alexandria, Beirut). Es handelte sich um Parallelgesellschaften mit separaten religiösen Oberhäuptern und eigenen Regeln, nach dem Millet-System im Osmanischen Reich.
Eine Gesellschaft in einer Region stützt sich auf die lokal ansässigen Menschen, die regelmäßig wertvolle Beiträge zur Gemeinschaft leisten, auf das Wirken ihrer Vorfahren und auf die Traditionen, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben. Kulturelle Symmetrie ist darauf ausgerichtet dies zu bewahren.
Forderungen nach einer bestimmten Art von Symmetrie haben zum einen, eine ideologisch bedingte Konstanz, sind aber zum anderen sehr dynamisch und abhängig von Krisen- und Knappheitssituationen. Wenn Ressourcen knapp werden muss man sich das Bedrohungspotential von Minderheiten innerhalb einer Gruppe vor Augen führen, die zwar gut integriert, aber nicht assimiliert sind. Durch ihre kulturelle und strukturelle Integration werden sie als Konkurrenten empfunden, während ihre Nicht-Assimilation sie als fremd erscheinen lässt.
Beispiele
Beispiele für solche Phänomene gibt es in der Geschichte zuhauf. In diesen Fällen war eine Verschonung vor Gewalt mit einer bedingungslosen Aufgabe der eigenen Kultur verknüpft. Dies bedeutete, dass die Minderheiten den eigenen Bräuchen abschwören mussten oder die Anwendung der eigenen Sprache verboten war. Wer sich dieser bedingungslosen Unterordnung einer vom Staat definierten Leitkultur verweigerte musste mit Vertreibung oder dem Tod rechnen. Opfer solcher Praktiken waren z.B. Chinesen und Kommunisten in Indonesien oder Christen im Osmanischen Reich.
Auszug aus dem Buch „Ideologie: Die bessere Gesellschaft und ihre Freunde“