John Gray ist ein Kritiker der Aufklärung und der modernen Auffassung von Religion. In seinen Büchern erklärt er, wie moderne, säkulare politische Bewegungen ihre Ursprünge im religiösen Fundamentalismus haben.
Viele Atheisten leisten sich ein gravierendes Missverständnis zwischen Glauben (belief) und Vertrauen (faith) und wähnen sich frei von jedweder Religiosität. Den ersten Aufklärern war dieser Unterschied durchaus bewusst. Als August Comte seine humanistische Religion gründete, entwickelte er bewusst religiöse Rituale für seine säkulare Gemeinschaft. Statt sich zu kreuzigen klopften sich die Positivisten Comtes dreimal an der Stelle auf den Kopf, an der gemäß der Phrenologie (pseudowissenschaftliche Lehre über das menschliche Gehirn) sich das Zentrum für Freundlichkeit und Fortschritt befand. Comte wusste: Die Welt der Fakten hat nichts gemein mit der Welt der Werte. Neben Wissen suchen Menschen nach Bedeutung und Sinn im Leben. Wissenschaft kann hierzu nichts beitragen. Jeder Mensch ist religiös.
Ein Merkmal des Christentums (und anderer monotheistischer Religionen) ist, dass seine Anhänger an die Erlösung in der Geschichte glauben. Sie hegen ein starkes Vertrauen in den Pfad des Fortschritts, an das Jüngste Gericht, das nahende Ende der Geschichte, die Revolution, die das Paradies mit sich bringen wird. Dieser Erlösungsmythos ist auch im Atheismus und Humanismus allgegenwärtig. Der Atheismus hat den Glauben an einen Gott abgelehnt aber das Vertrauen in den Fortschritt nahtlos vom Christentum übernommen. Laut Gray hatten vorchristliche Kulturen ein zyklisches Geschichtsverständnis. Die weitläufige Annahme war, dass auf Phasen der Freiheit, früher oder später Phasen der Barbarei folgen würden. Ein Glaube an den Fortschritt, der das Übel der Welt beseitigen würde, war in der frühen Antike nicht vorhanden.
Zum Vertrauen in den Fortschritt gesellt sich der Glauben, dass Wissen aus der Dunkelheit ins Licht führen wird (Gnostizismus). Die vorchristlichen heidnischen Kulturen gaben sich ihren spielerischen Illusionen hin und hatten wenig Interesse an der Wahrheit. Die Anbetung der Wahrheit entspringt einem christlichen Kult. Und sie hat die Intoleranz derer zur Folge, die glauben im Besitz der Wahrheit zu sein, unabhängig davon ob sie an Gott glauben oder nicht.
Der antike römische Bischof und Kirchenlehrer Augustinus verortete das Paradies im Jenseits und nahm dadurch etwas Schärfe aus dem progressiven Eifer der christlichen Anhängerschaft. Moderne, säkulare Bewegungen glauben hingegen daran das Paradies auf Erden schaffen zu können und geben sich damit einer nicht erreichbaren und gefährlichen Utopie hin.
Spätestens nach der Lektüre von John Grays Schriftwerken sollte jedem bewusst werden, dass die Jakobiner als radikale Revolutionäre, Brüder im Geiste (als auch insgeheim Vorbilder) der späteren Bolschewisten, Nationalsozialisten und Islamisten waren und keine Verfechter eines demokratischen Staates.
John Grays Bücher:
Die Geburt al-Qaidas aus dem Geist der Moderne