Bedeutung von Ideologien für die Gesellschaft
Menschen besitzen einen Gemeinschaftssinn, der es Ihnen erlaubt mit fremden Mitmenschen zu interagieren um mit ihnen zu kooperieren. Dieser Gemeinschaftssinn benötigt einen gemeinsamen Glauben an eine Ordnung, wie einer Religion oder Ideologie, denn für die Entwicklung und Stabilisierung hochkomplexer Gesellschaften war und ist die Zusammenarbeit wildfremder Menschen unabdingbar.
Ideologische Vorstellungen und das wahre Leben
Eine Ideologie ist nur in der Lage einen bestimmten Aspekt des realen Lebens zu betonen. Andere Aspekte werden nicht abgedeckt, für deren Erklärung und Lösung daraus resultiernder Probleme, auf andere Ideologien zurückgegriffen werden muss. So betont zum Beispiel die nationalistische Ideologie die Einheit von Kultur und Staat. Die Menschen einer Kulturgruppe sollten unter einem Staat vereint sein. Der Ausschluss von Personengruppen aus dieser Gemeinschaft kann nicht direkt mit der nationalistischen Ideologie begründet werden. Vielmehr muss hier über die Definition des Kulturbegriffs (Contested Concept) Menschen, mittels chauvinistischer und rassistischer Ideologien, die Zugehörigkeit zur betreffenden Kultur abgesprochen werden, meist verbunden mit der Bedrohung des Niedergangs dieser Kultur durch diese Gruppe von Menschen.
Wie steht nun ein Nationalist zum Tierschutz? Welche Meinung vertritt ein Kommunist zur Gentechnik? Hier wird deutlich: Ideologien betonen eine Problemstellung des realen Lebens und können für alles andere keine Antwort geben. Sie können blind sein gegenüber einzelnen menschlichen Merkmalen (z.B. Alter, Religionszugehörigkeit, Hautfarbe, soziale Stellung, etc.), während sie andere Merkmale überbetonen.
Ideologien können dabei grob in drei Kategorien zusammengefasst werden:
- Fragestellungen nach der politischen Organisation komplexer Gesellschaften.
- Umgang mit vorhandener Knappheit, die zu Aufteilungsproblemen führen kann.
- Befriedigung von Bedürfnissen nach Identität und Zugehörigkeit.
Ideologie | Kernkonzepte | Art der betonten, realen Problemstellung |
---|---|---|
Nationalismus | Einheit von Kultur und Staat, … | Politische Organisation von Gesellschaften |
Rassismus | Analytische Kategorisierung von Menschengruppen, … | Lösen von Knappheitsproblemen |
Liberalismus | Übertriebener Individualismus, … | Identitätsstiftung |
Salafismus | Einheit von Religion und Staat, .. | Politische Organisation von Gesellschaften |
Sozialismus | Ökonomische und soziale Gleichstellung aller Mitglieder einer Gesellschaft, … | Politische Organisation von Gesellschaften |
Anarchismus | Hierarchielose Gesellschaft, … | Politische Organisation von Gesellschaften |
Bekämpfung von Ideologien
Ideologien können nicht erfolgreich bekämpft werden. Die Verneinung einer Ideologie betont gleichzeitig ihre grundlegenden Denkkonzepte. Wer eine Ideologie bekämpft, bedient sich zwangsläufig ihrer Sprache, die bereits vorhandene Assoziationen in den Köpfen der Menschen auslöst. So betonen Rassenquoten zwar die Gleichheit der Rassen aber gleichzeitig auch die Ungleichheit der Menschen. Um Rassenquoten durchzuführen müssen Menschen in Rassen eingeteilt werden. Die Existenz von Rassen wird somit bestätigt, ein grundlegendes Denkkonzept des Rassismus. Auch wenn diese Maßnahmen gut gemeint sind um vergangene Ungerechtigkeiten auszugleichen und aktuelle zu vermeiden versuchen: Sie sind nicht dazu geeignet Rassismus langfristig zu bekämpfen. In dynamischen Systemen kann sich eine Radikalisierung ziemlich schnell vollziehen, wenn die gedankliche Infrastruktur gegeben ist. Gemäßigte können sich schnell in Radikale verwandeln. Beispiele sind in der Geschichte zuhauf vorhanden, von den Jungtürken, dem Marxismus bis zu den Gewalttaten im Namen der Weltreligionen. Doch welche Eigenschaften zeichnen Ideologien aus und welche Bedeutung haben Sie für das Verhalten von Menschen?
Universalismus
Universalistische Ideen erheben den Anspruch auf weltweite und uneingeschränkte Geltung. Ein Verstoß gegen diese Ideen wird als ungerecht empfunden und fordert eine Reaktion um den Verstoß zu bestrafen. Selbst positive Ideen wie Menschenrechte oder christliche Nächstenliebe können problematisch werden, wenn sie universale Geltung erheben: Universalismus erlaubt im Namen jeder Idee, ungeachtet ihres Inhalts, Gewalt zu legitimieren.
Kommunikation von Knappheit
Einige Ideologien versprechen die Lösung realer Knappheitssituationen. Dabei erzeugen Ideologien selber Knappheit in den Köpfen der Menschen, die teilweise nicht mit der realen (physischen) Knappheit korrespondiert. Diese Knappheit stellt eine Handlungsaufforderung dar. Nun existieren lokal unterschiedliche, über lange Zeit gewachsene Einstellungen und Wertvorstellungen, die auf die individuellen Identitäts- und Gerechtigkeitsbedürfnisse der Menschen prallen. Menschen kombinieren als Assoziationsmaschinen, diese einzelnen Aspekte zu einem Narrativ, das ihnen die Welt erklärt. Die Handlungsaufforderung einer Idee wird erst in diesem Kontext greifbar.
Ideologien & Böse Taten – Legitimation durch Narrative
Psychologische Untersuchungen wie das Milgram-Experiment, haben gezeigt dass sich ein großer Teil der Menschen zu „bösen Taten“ verführen lassen, durch den Gehorsam gegenüber einer Autorität oder Mitläufertum. In der Gesellschaft vorhandene Rollen stellen eine Legitimation für böse Taten dar. Sie bauen auf Narrative, die durch persönliche und gemeinsame (mediale) Erfahrungen entstehen, und können leicht auf Menschen übertragen werden. So können Menschen die Verantwortung für ihr Handeln auf ihre Rolle abwälzen, ohne sich damit auseinanderzusetzen. Dieses Phänomen beschrieb Hannah Arendt als „Banalität des Bösen“.
Funktion von Narrativen
Narrative sind sinnstiftende Erzählungen, die sich bei Ideologien, Wertvorstellungen und Institutionen bedienen, und beeinflussen Menschen hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Umwelt. Innerhalb von Narrativen werden Menschen verschiedene Rollen zugeschrieben (z.B. die des Sündenbocks, des Opfers oder des Verteidigers). Gerade politische Bewegungen kommen nicht ohne Narrative aus um die Massen zu mobilisieren und ihr Handeln zu rechtfertigen.
Übergeordnete Narrative sind dabei allgemeiner gehalten, und können dadurch in größeren Gruppen geteilt werden. Diese können dann von Individuen oder kleineren Gruppen ausgeschmückt und an ihre jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden.
Standardisierung von Narrativen
Die zunehmende Industrialisierung und Automatisierung hat unsere Gesellschaften und die Wahrnehmung von Verantwortung stark verändert. Anstatt auf selbstreflektiertes Handeln und dem Treffen eigenverantwortlicher Entscheidungen basierten Menschen ihre Urteile auf teils standardisierte Narrative und in Zeiten von Big Data ist die Gefahr groß, dass sich dieser Trend fortsetzt.
Strategien
Verwendete Sprache und Symbolik
Viele Begriffe und Symbole sind durch vergangene Geschehnisse vorbelastet und rufen bestimmte Assoziationen hervor. Daher ist es wichtig auf sein Vokabular zu achten. Eine Umdeutung eines Begriffes oder Symbols ist mit viel Aufwand verbunden und erfodert unter Umständen eine häufige mediale Wiederholungsrate der eigenen Interpretation. Dabei besteht die Frage, ob besonders wirkmächtige Symbole einfach den ideologischen Gegnern überlassen oder diese in Contested Concepts verwandelt werden sollten. Contested Concepts sind abstrakte Begriffe wie Freiheit oder Demokratie, um deren Deutungshoheit gerungen wird.
Umgang mit bewährten Gesellschaftsstrukturen
Bewährte Gesellschaftsstrukturen können Widerstand gegen totalitäre Systeme leisten. Traditionelle Werte wie die Familie haben eine lange Evolutionsgeschichte und sind unabhängig von Ideologien. Sie funktionieren dezentral und können genutzt werden, um der Zentralisierung von Macht entgegenzuwirken. Totalitäre Regime, vom Stalinismus bis zum Nationalsozialismus, haben in der Vergangenheit häufig versucht Familienstrukturen aufzubrechen, vor allem indem sie die Kinder indoktrinierten. Diese Vereinnahmung von Familien durch Diktaturen ist auch in George Orwells Roman „1984“ beklemmend dargestellt.
Die Rolle des Helden
Es resultieren natürlich nicht aus allen Rollen „böse Taten“. Neben Rollen, die „neutral“ wirken, existiert auch die Rolle des Helden. Zimbardo unterscheidet hierbei zwischen Helden im traditionellen Sinne, die eine Entlohung erhalten, wie Soldaten, Ärzte oder Feuerwehrmänner und Helden die ohne eine Gegenleistung Menschen in Not helfen und dabei für sich selbst Risiken eingehen. Diese selbstlosen Helden gehen Risiken ein, von denen die Gesellschaft profitiert. Sie setzen sich freiwillig einer erhöhten Fragilität aus, damit andere Menschen antifragiler werden.
Heldentum ist erlernbar. Das Projekt heroicimagination.org versucht Alltagshelden zu fördern und zu stärken.
Literatur:
Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem: ein Bericht von der Banalität des Bösen. Piper Verlag, 2013.
Milgram, Stanley: Behavioral Study of obedience. The Journal of abnormal and social psychology 67.4, 1963.
Zimbardo, Philip: Der Luzifer-Effekt. Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen. Springer, 2016.
Zimbardo, Philip: Why the world needs heroes. Europe’s Journal of Psychology 7.3, S. 402-407, 2011.