Entstehungsgeschichte des Rassismus

von Ioannis Alexiadis

Rassismus: Ursachen einer modernen Ideologie

Rassismus ist „ein Erbe der geschichtlichen Entwicklung unseres modernen Denkens und damit Teil unserer modernen Realität.“
Christian Geulen, S.8

Er ist wandelbar, anpassungsfähig und hat seine Anschlussfähigkeit an andere Ideologien bereits unter Beweis gestellt. Gerade in Zeiten von Globalisierungsschüben in denen Zugehörigkeit immer unsicherer wird, verspricht der Rassismus durch Überhöhung des Eigenen und Ausgrenzung des Fremden das Bedürfnis nach Identität und Zugehörigkeit zu verwirklichen. Diese Verwirklichung stellt einen engen Bezug zwischen (theoretischer) Ideologie und (gewaltsamer) Praxis dar, die sich gegenseitig legitimieren.

Anfänge

Seine ersten Anzeichen hatte er im 15. Jahrhundert in Spanien mit der Vertreibung der Juden und muslimischen Mauren im Zuge der Reconquista. Die Juden waren durch ihr Selbstverständnis als auserwähltes Volk zur Integration bereit aber nicht zur vollständigen Assimilation. Dies äußerte sich in der offiziellen Annahme des christlichen Glaubens aber inoffiziell wurden weiterhin die jüdischen Bräuche gepflegt. In den früheren Phasen des Christentums stellte dies kein Problem dar, doch nun stand der Vorwurf der scheinbaren Assimilation im Raum. Die abgeleitete Schlussfolgerung war, diese komplette Gruppe als nicht assimilationsfähig anzusehen und führte zur erstmaligen Anwendung des Begriffs der Rasse in diesem Zusammenhang. Dieser Wandel in der Wahrnehmung der Assimilationsfähigkeit hatte seine Ursachen in der politischen Neuordnung jener Zeit. Durch Humanismus, Reformation und der Entstehung der Wissenschaft änderten sich die Bedingungen für Zugehörigkeit und Identität in den europäischen Gesellschaften. Die Erkundungsfahrten der Seefahrer brachten zudem die Erkenntnis über die Begrenztheit der Erde hervor. Aus dieser Begrenztheit war abzusehen, dass es einen zukünftigen Wettbewerb um knappe Ressourcen geben würde.

Theorie

Eine zentrale Rolle in der Ausbildung des Rassismus spielte die Evolutionstheorie und deren Fehlinterpretation. Durch die Nicht-Beachtung des Zufallsprinzips setzten sich die Ideen des Evolutionismus durch.
Ging man zur Zeit der Aufklärung noch davon aus, dass menschliche Gesellschaften einer kontinuierlichen, positiven Entwicklungslinie folgen, führte die Evolutionstheorie zur Einsicht, dass Menschen einen gemeinsamen Ursprung haben und die Überlegenheit von Rassen nur durch die natürliche Selektion erfolgt. Dadurch könnten ehemals „überlegene“ Rassen durch vormals „unterlegene“ Rassen verdrängt werden.
Diese neue Dynamik die damit einherging stellte ein Bedrohungspotenzial dar, das zusammen mit einer zunehmenden Biologisierung der Gesellschaft und der Geschichte, massiv den wissenschaftlichen Diskurs bestimmte. Spätestens seit Arthur de Gobineaus Theorie „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen“, wurde die Idee des Rassenkampfes in der westlichen Welt sehr beliebt. Die Gedanken des Rassenkampfes wurden dabei auf sämtliche Bereiche der Gesellschaft übertragen. Nahezu sämtliche soziale Gruppen einer Gesellschaft, seien es nun Arme oder Kriminelle, wurden kategorisiert und mit bestimmten Eigenschaften versehen. So war es üblich von der Arbeiterrasse oder Adelsrasse zu sprechen. Rassismus war von Anfang an nicht auf ethnische Kategorien beschränkt sondern auf willkürlich definierte, gesellschaftliche Gruppen anwendbar.

Praxis

Aus Theorie wird Praxis, wenn eine analytische Kategorisierung von Menschen zu einem zielgerichteten Bedrohungspotential wird. Im modernen Denken werden Teile der Natur aus ihrem Kontext gerissen um sie zwecks Optimierung besser analysieren zu können. Um nicht als Misserfolg oder Ressourcenverschwendung zu gelten, fordern Analysen ein anschließendes auf ihre Ergebnisse beruhendes, aktives Handeln ein. Dieses Handeln zielt darauf ab Veränderungen an der Natur vorzunehmen und auf Menschen übertragen ist die Beseitigung von Bedrohungen das oberste Ziel. Durch die für eine Analyse notwendige Kategorisierung lassen sich Bedrohungspotentiale identifizieren und auf Menschengruppen übertragen. Die Dekontextualisierung von Menschen erlaubt hingegen eine Projektion der aktuellen Praxis und des empfundenen Bedrohungspotentials auf diese Menschen. Auf diese Weise legitimieren sich Praxis und Theorie gegenseitig.

Kommunizierte Knappheit, bedingungslose Prognosen, bedingungsloses Wachstum, bedingungloser Fortschritt und Wettbewerb; sie alle sind Instrumente derer sich der Rassismus bedient. Veranschaulichen lässt sich dies anhand der Blut und Boden Politik des Nationalsozialismus. Die Kommunikation von Knappheit wurde hier in Bezug auf Lebensraum und „gutem“ Genmaterial angewandt. Fortschritt war nur durch Wachstum und Wettbewerb möglich und er war unumgänglich. Ansonsten wurde der Untergang prognostiziert. Aus einem Land ohne Volk (Geburtenrückgange wurden als Bedrohung durch die Vermehrung „Minderwertiger“ angesehen) wurde binnen kurzer Zeit, ein Volk ohne Raum, das expandieren musste. Auf diese Weise wurde ein Kampf gegen innere und äußere Feinde legitimiert

Literatur:

Cremer, Hendrik: „… und welcher Rasse gehören Sie an?“ – zur Problematik des Begriffs“ Rasse“ in der Gesetzgebung. Policy Paper 10, 2. Auflage, 2009.

Geulen, Christian: Geschichte des Rassismus. C.H. Beck, 2007.

Haller, Michael; Niggeschmidt, Martin: Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz. Von Galton zu Sarrazin: Die Denkmuster und Denkfehler der Eugenik. SpringerVS, Wiesbaden, 2012.

Lindner, Kolja: Radikalisierte Identitäten. Der Genozid in Ruanda und seine (post-)koloniale Vorgeschichte. Revue du tiers monde, S.34-37, 2010.

Lange, Karl: Der Terminus „Lebensraum“ in Hitlers „Mein Kampf“. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13.4. H, S. 426-437, 1965.

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