Die Epigenetik als Verbindung zwischen Genen und Umwelt
Debatten über Genetik führten in der Vergangenheit zu den Ideen der Eugenik und Dysgenik. Während die Dysgenik vor einem genetischen Verfall der Menschheit warnt (z.B. Galton, Sarrazin), setzt sich die Eugenik die Erschaffung eines neuen, besseren Menschen zum Ziel.
Werden Menschen von ihren Genen oder ihrer Umwelt geprägt?
Die Epigenetik hat neue Erkenntnisse zur Gen-Umwelt-Interaktion hervorgebracht. Gene können, beeinflusst durch äußere Faktoren wie der Ernährung, aktiviert und deaktiviert werden.
Quelle: MaxPlanckSociety via YouTube
Nun kann das epigenetische Wissen benutzt werden um den Genfatalismus zu widerlegen, der die Bestimmtheit der Gene und damit der menschlichen Eigenschaften betont. Allerdings kann sich daraus ein Genaktivismus ergeben, der eine mögliche Kontrolle über unsere Genaktivität beansprucht. Eugenik und Dysgenik spielen dabei in beiden Fällen eine wichtige Rolle:
Genfatalismus
Dysgenik: Menschliche Eigenschaften wie die Intelligenz sind ausschließlich von vererbten Genen abhängig. Somit ist der Lebensverlauf von Menschen determiniert und kaum veränderbar. Durch eine bessere medizinische Versorgung ist die natürliche Selektion der Evolution außer Kraft gesetzt. Menschen mit minderwertigen Genen (Gruppen von Menschen werden in minderwertige Rassen kategorisiert) vermehren sich schneller als solche mit „guten“ Genen und führen zum Niedergang von Kulturen.
Eugenik: Eine Gesellschaft kann sich nur weiterentwickeln wenn sich Menschen mit „guten“ Genen fortpflanzen und Menschen mit „schlechten“ Genen dies nicht tun. Der Fortschrittsgedanke legitimiert einen künstlichen Eingriff in das Erbgut von Menschen oder eine staatliche Fortpflanzungskontrolle (Rassenhygiene).
Genaktivismus
Dysgenik: Als Hindernis für den Fortschritt der Gesellschaft können bei einzelnen Gruppen (Muslime, Arbeitslose) weiterhin deren Kultur oder Lebenseinstellung gedeutet werden. Eine starke Vermehrung dieser Gruppen stellt ein Bedrohungspotential dar, weil ihre Kinder diese Lebenseinstellung durch Erziehung übernehmen.
Eugenik: Die Eigenverantwortung der Menschen wird betont, da das Wissen für eine „gute“ Lebensführung vorhanden ist. Die Verbesserung des Menschen wird weiterhin als erreichbar angesehen und durch moralische Regeln untermauert. Eingriffe in das Erbgut (genetisch und epigenetisch) gelten als moralische Pflicht. Gleiches gilt für die Anpassung von Gruppen an die „richtige“ Lebensweise der Gesellschaft.
Aktueller Stand der Wissenschaft
Weder der Genfatalismus noch der Genaktivismus bilden die Realität ab. Da es Wechselwirkungen zwischen Genen und der Umwelt gibt, sind sie voneinander abhängig. Sie können natürlich zu Analysezwecken begrifflich abgegrenzt werden. Allerdings sind begriffliche Unterscheidungen menschengemacht und nicht präzise genug. Gene und Umwelt sind vielmehr als Ressourcen zu sehen. Erst wenn beide zusammenkommen wird das Ergebnis dieses Prozesses sichtbar. Es existiert kein einzelnes Gen auf das menschliche Eigenschaften wie Intelligenz rückführbar sind. Diese Eigenschaften hängen von zahlreichen Genen ab, die ihrerseits mit der menschlichen Umwelt interagieren. Daher ist sowohl eine Prognose als auch eine Beeinflussung der Gen-Umwelt-Interaktion nicht ohne weiteres durchführbar. Menschliches Potential ist oft verborgen und erst die praktische Erfahrung lässt Talente zum Vorschein kommen.
Neuere Studien deuten darauf hin, dass Darmbakterien großen Einfluss auf die menschliche Psyche haben. Die Darm-Hirn-Achse ist demnach für Stress, Depressionen oder andere Krankheiten von hoher Bedeutung. Hier wird der hohe Grad an Komplexität sichtbar der keine Prognosen zulässt zumal neue, verblüffende Erkenntnisse über menschliche Eigenschaften zu erwarten sind.
Literatur:
Cortini, Ruggero, et al.: The physics of epigenetics. Reviews of Modern Physics 88.2, 2016.
Heil, Reinhard; et al. (Hrsg.): Epigenetik: Ethische, rechtliche und soziale Aspekte. Springer-Verlag, 2016.
Haller, Michael; Niggeschmidt, Martin: Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz. Von Galton zu Sarrazin: Die Denkmuster und Denkfehler der Eugenik. SpringerVS, Wiesbaden, 2012.
Oyama, Susan: The Ontogeny of Information: Developmental Systems and Evolution. Cambridge University Press, New York, 1985.