Markt und staatliche Marktwirtschaft

von Ioannis Alexiadis

Was sind freie Märkte, wie funktionieren sie und welche Schlüsse kann man daraus (nicht) ziehen?

Viele ökonomische Lehrbücher, führen das Beispiel des Tauschhandels an, wenn sie die Entwicklung unseres Wirtschaftssystems erklären wollen:

In einem Dorf leben Bäcker, Metzger und Bauer. Falls der Bauer einen Überschuss an Kartoffeln produziert tauscht er ihn gegen die Überproduktion der Anderen aus. Mit der Zeit wird Geld erfunden, um den Tausch einfacher zu gestalten und Transaktionskosten zu senken.

Nur gibt es bisher in der Anthropologie keinen Beweis für solche Verhältnisse im Altertum. Hier werden Strukturen der Gegenwart einfach in die Vergangenheit projiziert. Tauschhandel wurde eher zwischen Fremden betrieben. Innerhalb von Gemeinschaften wurde die Erbringung einer Leistung notiert, sprich eine Form von Kredit gewährt (angeschrieben), bis der Leistungsempfänger etwas hatte was als gleichwertig erachtet wurde. Die Entstehung des Münzgelds hatte wahrscheinlich eher mit dem ersten Auftreten von stehenden Heeren zu tun, in dessen Folge sich Märkte entwickelten. Märkte entstanden nicht spontan, sondern waren stets an die Existenz von Staaten gebunden.

Staaten schaffen Märkte, indem sie die rechtlichen Rahmenbedingungen festlegen, Geldpolitik betreiben, Sicherheit garantieren und den Zugang zu wichtigen Rohstoffen sichern. Ohne Militär und Diplomatie wäre Unternehmen der Zugriff auf viele notwendige Ressourcen verwehrt. Ohne Gesetze die Knappheitskalküle regeln, wären kontrollierte Abläufe im Handel nicht möglich. Ohne Polizei und Justiz könnte die Rechtsordnung nicht umgesetzt werden.

Staat und Markt sind unzertrennliche Bestandteile unserer momentanen Gesellschaftsordnung. Jeder Versuch eine Situation „Markt versus Staat“ zu konstruieren missachtet diese Zusammenhänge. Zu den Lebzeiten Adam Smiths gab es einzelne kapitalistische Inseln, in einer Welt die, im Gegensatz zu unserer heutigen, nicht vom Kapitalismus durchdrungen war.

Freie Märkte

In einem wirklich freien Markt darf es keinerlei staatliche Eingriffe geben. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Umgekehrt muss für einen freien Markt auch gelten, dass die Wirtschaft keinen Einfluss auf den Staat haben darf. Staat und Wirtschaft müssten zwei voneinander entkoppelte Systeme bilden. In den meisten repräsentativen Demokratien nimmt die Wirtschaft durch den Lobbyismus sehr wohl Einfluss auf die Politik. Daher hat es in der westlichen Welt bisher noch nie einen wirklich freien Markt gegeben. Der Staat war stets an wirtschaftlichen Wachstumsprozessen beteiligt, vor allem durch militärische Expansionen.

Angebot und Nachfrage

In den Wirtschaftswissenschaften wird behauptet, dass die Nachfrage das Angebot zur Folge hat. Demnach produzieren Unternehmen stets gemäß der Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden. Betrachtet man die Sache genauer, gilt dies allerdings nur in Ausnahmefällen, da dies bedeuten würde, dass jedes Produkt als Auftragsfertigung erstellt wird. Natürlich beliefern viele Unternehmen im B2B-Geschäft andere Unternehmen, aber schließlich haben diese Privatkunden oder den Staat als Endkunden.

Die Idee, Bedürfnisse könnten mit Hilfe von Befragungen, Prognosemodellen und Hochrechnungen berechnet werden, ist naiv da keine zuverlässigen Prognosen für nicht-lineare, dynamische Systeme erstellt werden können. Viele menschliche Bedürfnisse entstehen nicht bewusst, sondern bilden sich im Prozess der rivalisierenden Imitation (Ausbildung von Trendsettern und Mitläufern). Dies wird einem bewusst wenn man an den Hype um das neueste Smartphone denkt, oder dass Menschen bereit sind sehr viel Geld für Statussymbole auszugeben. Hat ein Mensch Hunger, besitzt er die Bedürfnisse nach Fett, Zucker oder Eiweiß. Seine Nachfrage nach einem bestimmten Produkt entsteht erst, wenn er in den Supermarkt geht und einen Schokoriegel, Joghurt oder ein Fertigprodukt kauft. Das Angebot war bereits vorhanden, bevor die Nachfrage entstand.

Auch die Logistik-Konzepte vieler Unternehmen sprechen gegen die Nachfrage-verursacht-Angebot-Logik. Während „Pull-Systeme“ (bspw. Reinigungsgeräte beim Fachhandel) die Produktfertigung über aktuelle Verkaufszahlen steuern (neue Produkte werden erst hergestellt wenn Verkaufsregale sich leeren) produzieren „Push-Systeme“ (z.B. die Automobilindustrie) auf Lager und versuchen über Preissenkungen und Rabatte ihre Lager wieder zu leeren (Hintergrund für die Wahl eines Push-Systems sind Kapazitätsauslastungen und Preiselastizitäten).

Einen Gedanken sollte sich jeder vor Augen führen: Konsumenten würden ein Angebot nicht konsumieren wenn dieses Angebot nicht existieren würde. Sie würden kein Bedürfnis nach Schokolade haben, wenn man sie nicht ständig daran erinnern würde. Verführung verspüren Menschen nur bei Dingen die theoretisch leicht zugänglich sind. Eine bestimmte Nachfrage lässt sich erst messen, wenn ein entsprechender Konsum oder eine entsprechende Investition bereits erfolgt ist!

Privatisierung

Nicht jede Privatisierung ist notwendig und bringt Vorteile. Wer glaubt Privatisierung von Staatseigentum sei ein Allheilmittel begeht einen Irrtum:
Ein Betrieb in Staatseigentum ist nicht gleich einem staatlich gelenkten Betrieb. Der Erfolg des Betriebs hängt nicht von seinem Eigentümerstatus ab, sondern von der Qualität und Unabhängigkeit seiner Geschäftsführung. Entscheidend für staatliche Unternehmen ist es daher die Unabhängigkeit der Geschäftsführung sicherzustellen. Die Eigentumsverhältnisse sind für den betrieblichen Erfolg irrelevant. Viele Staatsunternehmen (z.B. Infrastrukturunternehmen) sind von Natur aus groß und können daher nicht in einen sinnvollen Wettbewerb zu Konkurrenten treten (Es macht keinen Sinn in einer Stadt 10 Hauptbahnhöfe zu errichten). Eine Privatisierung bringt in diesen Fällen kaum Vorteile mit sich und kann unter Umständen negative Auswirkungen verursachen (Mono- oder Oligopolisierung).

Literatur:

Bernays, Edward: Propaganda – Die Kunst der Public Relations. orange-press, 2013.

Candeias, Mario; Rilling, Rainer; Weise, Katharina: Krise der Privatisierung: Rückkehr des Öffentlichen. Karl Dietz Verlag, 2009.

Graeber, David: Schulden: die ersten 5000 Jahre. Klett-Cotta, 2012.

Kocka, Jürgen. Geschichte des Kapitalismus. CH Beck, 2013.

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