Prognosen, Wahrscheinlichkeit und Irrtum

von Ioannis Alexiadis

Prognosen und Bedingungen

Prognosen hängen immer mit Wahrscheinlichkeiten zusammen, die Bedingungen unterliegen: Ereignis B kann nur eintreten wenn Ereignis A bereits in der Vergangenheit eingetreten ist. A ist Bedingung für B.
Bedingte Prognosen können aber nicht für jede Situation erstellt werden, was die Chaostheorie bewiesen hat, sondern unterliegen dem Zufallsprinzip.

Wissenschaftliche, bedingte Prognosen können nur für Systeme gelten die isoliert, stationär und zyklisch sind.
Hierzu zählt die Planetenbewegung, die mit hoher Genauigkeit berechnet werden kann.

Menschen sind wahrscheinlichkeitsblind

Die menschliche Wahrnehmung neigt dazu bedingte Wahrscheinlichkeiten außer Acht zu lassen um stattdessen auf simple Heuristiken (Faustregeln) zurückzugreifen. Das Eintreten eines Ereignisses A unter der Bedingung B ergibt eine völlig andere Wahrscheinlichkeit, als das Eintreten von B unter der Bedingung A. Da unser Denksystem sehr viel (knapp bemessene) mentale Energie für rationale Berechnungen benötigt, schätzt es Wahrscheinlichkeiten intuitiv falsch ein.

Beispiel:
Nehmen wir an eine Person wird auf eine Krankheit getestet an der 1 von 1000 Menschen leiden. Der Test hat eine Zuverlässigkeit von 95% (95% der positiven Testergebnisse sind richtig, 5% falsch). Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem positiven Test die Person auch wirklich krank ist?

Die Wahrscheinlichkeit liegt bei ungefähr 2%.
Den Fehler den die meisten Menschen bei dieser Aufgabe begehen ist, die Information, dass 1 von 1000 diese Krankheit hat als irrelevant anzusehen. Wenn die Zuverlässigkeit bei 95% liegt bekommen 5% von 1000 Menschen, also 50, eine Falschdiagnose. Zählt man die eine Person hinzu die wirklich krank ist ergeben sich 51 Personen die ein positives Ergebnis zu erwarten haben. Da eine Person wirklich krank ist und 51 ein positives Ergebnis erwarten, beträgt die Wahrscheinlichkeit 1⁄51 und somit ungefähr 2%.

Prognosen in Politik und Wirtschaft

Vor allem in der Wirtschaftspolitik werden regelmäßig von Politikern und Wissenschaftlern Prognosen abgegeben. Der Demographiewandel wird anhand statistischer Daten als gegeben wahrgenommen und unsere Gegenwart auf die Erfordernisse der Zukunft angepasst.

Prognosen

Dabei wird außer Acht gelassen, dass das Eintreten eines solchen Ereignisses stets an viele Bedingungen geknüpft ist. Viele Befürchtungen bezüglich des Demographiewandels lassen sich durch Argumente leicht widerlegen. Diese Sorgen sind auch nicht neu sondern sehr alt. Bereits vor und nach dem ersten Weltkrieg existierte in Deutschland eine Zukunftsangst aufgrund von Geburtenrückgängen.

Bedingungslose Prognosen haben sich auch im historisch verankerten Fortschrittsglauben etabliert, der ein kontinuierliches wirtschaftliches Wachstum und eine kontinuierliche Entwicklung der menschlichen Gesellschaft vorausgesagt hat. Dieser Fortschrittsglaube ist insofern gefährlich, da er die Grundlage für viele Ideologien bildet und bspw. Ausdruck im Evolutionismus fand.
Der Einsatz von Prognosen bringt momentan in vielen Gesellschaften Leid über Menschen und sollte für die Zukunft kritisch betrachtet werden. Die norwegische Kinderschutzbehörde Barnevernet zerstört intakte Familien, indem sie auf Basis fragwürdiger Prognosen Eltern ihre Kinder wegnimmt. Das Drohnenprogramm der USA tötet Menschen, indem es die Wahrscheinlichkeit für eine ausgehende Bedrohung der Zielpersonen durch einen Algorithmus berechnet. In den USA wird mit Hilfe eines Algorithmus die Rückfälligkeit von Straftätern prognostiziert. Das Programm mit dem Namen COMPAS bzw. equivant, wurde von Wissenschaftlern untersucht: zufällig ausgewählte Personen lieferten eine ähnliche Vorhersagequalität. Trotzdem vertrauen Menschen diesem und anderen Systemen, weil deren Komplexität und die Verwendung riesiger Datenmengen Verlässlichkeit suggeriert.

Das Gesetz der großen Zahlen

Das Gesetz der großen Zahlen kann anhand eines Würfelwurfs veranschaulicht werden. Die Wahrscheinlichkeit für den Wurf eines Würfels kann nur für sehr häufiges Würfeln angegeben werden. Wenn Sie einen Würfel 6 mal werfen wird jede Zahl genau einmal erscheinen? Nein, denn die Wahrscheinlichkeit ist nicht gleich der relativen Häufigkeit. Wenn Sie ihn aber 1 Millionen Mal werfen, dann kommen Sie der Wahrscheinlichkeit immer näher. In der Wirklichkeit wird aber nicht unendlich oft „gewürfelt“. Daher kann die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis nur für stationäre, isolierte und zyklische Systeme berechnet werden. In diesen Fällen bleiben die Bedingungen konstant. Darin unterscheidet sich strukturierte von unstrukturierter Wahrscheinlichkeit.

Literatur:

Bennett, Deborah J: Randomness. Harvard University Press, 2009.

Dressel, Julia; Farid, Hany: The accuracy, fairness, and limits of predicting recidivism. Science Advances, Vol. 4, Nr. 1, 2018.

Fox, Craig R.; Levav, Jonathan: Partition-edit-count: naive extensional reasoning in judgment of conditional probability. Journal of Experimental Psychology: General 133.4, 2004.

Popper, Karl R: Vermutungen und Widerlegungen: das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis. Mohr Siebeck, 2009.

Taleb, Nassim Nicholas: Narren des Zufalls: Die verborgene Rolle des Glücks an den Finanzmärkten und im Rest des Lebens. WILEY-VCH Verlag, 2008.

Verwandte Beiträge

Einen Kommentar schreiben