James C. Scott – Seeing Like a State

von Ioannis Alexiadis

Wie Staaten versuchen eine bessere Gesellschaft aufzubauen und regelmäßig dabei scheitern, beschreibt James C. Scott in seinem wichtigen Werk „Seeing Like a State“. Angesichts des Mismanagements der Behörden in der Coronakrise und andernorts ist der Inhalt des Buches hochaktuell. Ausgangspunkt seiner Studie ist der erste Versuch eines Staates in der Geschichte, Wälder als natürliche Ressourcen zu verwalten. In Preußen und Sachsen wurde im späten 18. Jahrhundert die Forstwirtschaft lanciert. Der Staat begann Wald als ein kommerzielles Gut zu behandeln, das optimiert werden muss. Die Bedeutung des Waldes für die Bevölkerung, als Rückzugsort oder als Lieferant von Feuerholz, existierte in dem abstrakten Bild, das der Staat von ihm pflegte, nicht. Die zur Maximierung des Ertrags betriebenen Monokulturen zerstörten die Vielfalt des Waldes und verhinderten seine anderweitige Verwendung, abseits vom Zweck des Staates. Normalbaum, Unkraut, Nutztier oder Schädling sind für die Forstwirtschaft relevante Kategorien, die in eben jener Zeitperiode ihren Ursprung haben. Das Ergebnis für die Wälder war gravierend. Ihr Ökosystem wurde gestört und es setzte ein Waldsterben ein. Verantwortung dafür trug der Staat, weil das aus Staatssicht Unwichtige doch essentiell ist. Das Beispiel der Forstwirtschaft sollte laut Scott eine Blaupause für spätere Interventionen des Staates sein, in denen die Blindheit des Staates katastrophale Folgen für Mensch und Natur nach sich zog.

Die Welt bevor der moderne Staat weltweit in Kraft trat sah anders aus als die heutige. Lokale Maße waren sehr kontextabhängig und wurden durch lokale Interessen mit der Zeit geformt. Die Menschen maßen mit der Elle oder dem Fuß und kannten die standardisierten Maßeinheiten des metrischen Systems nicht. Eine Elle hatte in einem Dorf eine andere Länge als im Nachbardorf. Städte waren unregelmäßig geplant und Fremde waren auf lokale Bewohner angewiesen, die sie durch die undurchdringlichen Straßen führen konnten. Die Stadt war nur lesbar für diejenigen, die in ihr aufgewachsen waren. Sie genossen die Vorteile eines für Fremde nicht zugänglichen, lokalen Wissens. Die Unlesbarkeit ihrer Stadt war für sie eine Versicherung gegen eine Invasion oder Diktatur. Lokale Regeln sind nur lesbar für lokale Menschen. Für einen Staat sind sie undurchdringliche Barrieren, die ihm den Zugriff auf das Lokale verwehren. Daher gerieten lokale Bräuche, lokales Wissen und lokale Interessen zunehmend in Konflikt mit dem Staatsdenken. Der Staat wollte seine eigenen Regeln mit Gesetzen etablieren. Sein Wille war dabei mehrschichtig. Eines seiner Anliegen war es das kommerzielle Potential von Mensch und Natur einschätzen zu können. Für die Besteuerung seiner Bürger musste er wissen, wie viel er ausbeuten konnte. Erhob er zu hohe Steuern könnte das die Bauern zu stark belasten und zu Revolten führen. Waren sie zu niedrig, würden ihm Einnahmen entgehen, die er, ohne ein Risiko einzugehen, haben könnte. Dem Staat geht es hauptsächlich um Effizienz und diese ist dem Staatsdenken inhärent, da die Verwandlung der Natur in Natürliche Ressourcen Knappheit erzeugt, die nach mehr Effizienz ruft. Ein anderer Grund für das Eindringen des Staates in das Lokale, war sein eigener Selbsterhaltungstrieb. Für die Sicherstellung des Betriebs des Staatsapparats muss jede Stadt und jedes Dorf zugänglich für Fremde sein. Staatsbeamte müssen von Zeit zu Zeit ersetzt werden und die Einarbeitung neuer Kollegen kann nur reibungslos von statten gehen, wenn Transparenz herrscht. Letzten Endes möchte der Staat sich so viele Optionen sichern wie nur möglich und lokales Wissen steht diesem Plan im Weg.

In sämtlichen Bereichen in denen ihm Mittel und Fähigkeiten zur Verfügung standen, versuchte er das Lokale für ihn lesbar zu machen, durch die Erstellung von Karten und Katastern, die Einführung von festen Nachnamen und des metrischen Systems, die Förderung von Nationalsprachen oder die Zentralisierung des Verkehrs. Je besser es ihm gelang diese Abstraktionen zu verfeinern, desto einfacher konnte er sein Staatsterritorium kontrollieren. Die Planung von Stadtvierteln wurde so ausgerichtet, dass sie für Außenstehende verständlicher wurden, damit keine Abhängigkeit von ihren Bewohnern mehr besteht. Somit konnte der Staat eine bessere Kontrolle von Aufruhr, Kriminalität oder der Verbreitung von Krankheiten sicherstellen.

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