Faustregeln und Heuristiken – Intuition als Werkzeug

von Ioannis Alexiadis

Wie sie helfen die richtigen Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen

Was ist eine Heuristik?

Eine Heuristik ist eine Faustregel, die auf durch die Evolution entwickelte Fähigkeiten von Menschen zurückgreift. Wie gut so eine Faustregel funktioniert hängt von der Umweltstruktur ab in der sie eingesetzt wird. Sie ist dabei ressourcenschonend weil sie auf einfache Regeln aufgebaut ist und liefert in der geeigneten Umwelt gleichwertige oder gar bessere Ergebnisse als komplexere Verfahren.

In Zeiten von Big Data und hoher Prognosegläubigkeit missachten viele Menschen dass unsere Umwelt ein hohes Maß an Unsicherheit aufweist und in diesem Umfeld Heuristiken als Entscheidungshilfe besser geeignet sind als komplexe Berechnungsverfahren. Weniger Informationen sind für Entscheidungen manchmal besser. Bei der Untersuchung der Vergangenheit sind relevante Informationen oft bekannt und komplexe Verfahren können hierdurch genauere Ergebnisse liefern. Setzt man die gleichen Methoden aber für Prognosen der Zukunft ein, erhalten irrelevante Informationen Einzug in das Prognosemodell. Eine Heuristik nutzt hierbei weniger irrelevante Information.

Evolvierte Fähigkeiten und Umwelt

Heuristiken nutzen durch die Evolution entstandene menschliche Fähigkeiten und beruhen auf Erfahrungen. Zu den evolvierten Fähigkeiten gehören z.B. für die Aufgabe des Fangen eines Balles: Objekte im Blick behalten, das Gleichgewicht bewahren und visuell-motorische Koordination. Reziproker Altruismus auch gegenüber Nicht-Verwandten, der dem menschlischen Gemeinschaftsinstinkt entspringt, gehört ebenso zu den evolvierten Fähigkeiten.
Fähigkeiten können zu Bausteinen kombiniert werden, die wiederum in unterschiedlichen Heuristiken eingesetzt werden können. Ob eine Heuristik sinnvoll, effizient und erfolgreich ist, hängt letztendlich von der Umwelt ab in der das zu lösende Problem liegt.

Rationale Entscheidungen

Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung hat drei zentrale Konzepte in Bezug auf Rationalität und Entscheidungsfindung erarbeitet:

Begrenzte Rationalität

Die Erfassung aller Informationen zu einer Fragestellung und das Abwägen aller möglichen Alternativen ist aufgrund hoher Komplexität und der Knappheit an Zeit nicht möglich. Prognosen sind für die meisten Problemstellungen nicht verlässlich. Daher kann nur von einer Begrenzten Rationalität der menschlichen Entscheidungsfindung ausgegangen werden, in der oft weniger Informationen zu besseren Entscheidungen führen.

Ökologische Rationalität

Die Qualität einer Heuristik hängt von der Umwelt ab in der sie angewandt wird. Existiert ein valider Zusammenhang zwischen einer Faustregel und einem beobachteten Merkmal, funktioniert eine Heuristik gut (z.B. Rekognitionsvalidität). Ist die Validität nicht gewährleistet kann dies „Kognitive Verzerrungen“ hervorrufen. Hierbei zu beachten sind aber die (teils unterschiedlichen) Konnotationen, die einzelne Begriffe bei Menschen auslösen und fälschlicherweise in manchen Experimenten als Kognitive Verzerrungen interpretiert werden können.

Soziale Rationalität

Nicht alle angewandten Heuristiken sind schnell und effizient, da in manchen Situationen Rücksicht auf zwischenmenschliche Beziehungen genommen werden muss. Menschen werden hier von ihrem sozialen Umfeld beeinflusst und beziehen Emotionen und soziale Normen in ihre Entscheidungen mit ein.

Beispiele

Rekognitionsheuristik

Wenn Du ein Objekt wiedererkennst, das andere aber nicht, ziehe den Schluss, dass das wiedererkannte Objekt eine höhere Relevanz hat.

Menschen erinnern sich eher an Objekte von denen sie öfter gehört haben. Die Rekognitionsvalidität (Qualität) hängt dabei von der ökologischen Rationalität der Heuristik ab.
Evolvierte Fähigkeiten: Wiedererkennung von Objekten

Take-the-Best

Nimm alle möglichen Gründe, bringe sie in eine Rangfolge „wichtig-weniger wichtig“ und arbeite sie der Reihe nach ab. Der erste Grund, der eine Entscheidung ermöglicht, bestimmt die Entscheidung (Stopp-Regel).

Aus Take-the-Best können effiziente Entscheidungsbäume entwickelt werden, die in der Medizin oder dem Finanzwesen die Entscheidungfindung unterstützen.

Tit-for-Tat

Sei zuerst freundlich, beschränke dein Gedächtnis auf die Größe eins, und ahme das zuletzt gezeigte Verhalten deines Partners nach.

Evolvierte Fähigkeiten: Reziproker Altruismus

Skin-In-The-Game Heuristik

Jeder, an einer Handlung Beteiligter, durch die andere Menschen potentiell schaden nehmen können, sollte ebenfalls diesem Schaden ausgesetzt werden.

Belohnung und Risiko sind in vielen Lebenssituationen asymmetrisch verteilt (z.B. zwischen Banken und Bankkunden). Schlechte Entscheidungen und Ratschläge führen nicht beim Entscheidungsträger oder Berater zu Schaden, sondern bei Anderen. Skin-In-The-Game ist eine Heuristik, die diesen Schaden abwenden hilft und den menschlichen Gerechtigkeitssinn anspricht.
Evolvierte Fähigkeiten: Reziproker Altruismus

Literatur

Gigerenzer, Gerd: Bauchentscheidungen – Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. Wilhelm Goldmann Verlag, 2008.

Hertwig, R., Hoffrage, U., & the ABC Research Group (Eds.): Simple heuristics in a social world. New York: Oxford University Press, 2013.

Todd, P. M., & Gigerenzer, G., & the ABC Research Group: Ecological Rationality: Intelligence in the world. New York: Oxford University Press, 2012.

Taleb, Nassim Nicholas; Sandis, Constantine: The skin in the game heuristic for protection against tail events. Review of Behavioral Economics, 2014.

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