Grundlagen für erfolgreiches und lebenslanges Lernen

von Ioannis Alexiadis

Wie und warum lernt der Mensch?

Genetik

Die Entdeckung der Epigenetik hat gezeigt, dass Gene im Lauf des Lebens aktiviert oder deaktiviert werden können. Wie das genau zu beeinflussen ist kann die Wissenschaft aktuell nicht sagen, aber die Erkenntnis ist wichtig, dass der eigene Lebensstil unsere Genstruktur beeinflusst und es an uns liegt unser genetisches Potential auszuschöpfen. Dieses ist dabei nicht vorhersagbar und kann erst durch intensives Erproben sichtbar gemacht werden. Im Gegensatz zu Tieren, deren Entwicklung größtenteils genetisch festgelegt ist, sind Menschen vor allem in frühen Jahren extrem formbar.

Neuro- und kognitionswissenschaftliche Grundlagen

Bereits in der frühen Kindheit besitzt das menschliche Gehirn eine erfahrungsabhängige Plastizität, die auch im Erwachsenenalter erhalten bleibt. Erfahrungen in Form von Worten, Bildern, Gerüchen oder Gefühlen, verschalten die Neuronen in unserem Gehirn und prägen unsere Denk- und Verhaltensmuster.

Sprache

Die Rolle der Sprache ist im Lernprozess sehr wichtig, da sie das Herausbilden von Abstraktionsvermögen, oder selbstreflektiertem Denken fördert. Durch das Medium Sprache wird Wissen vermittelt. Framing lenkt dabei die Aufmerksamkeit von Schülern auf bestimmte Aspekte der Realität und hilft somit z.B. soziale Kompetenzen aufzubauen, um sich in andere Menschen hineinversetzen zu können. Um später in der Erwachsenenwelt zu bestehen reicht das bloße Lernen von Begriffswissen und Definitionen nicht aus, da Wissen erst in seinem kulturellen Kontext von Nutzen sein wird. Sprache transportiert diesen kulturellen Kontext.

(Bauch-) Gefühle

Gefühle sind wichtig um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Menschen die keine Gefühle empfinden haben Probleme erfolgreich im Leben zu sein. Sie sind zum einen ein Indikator für die eigenen Ziele, die verfolgt werden sollten, frei nach dem Motto: Wenn mich eine rationale Entscheidung unglücklich macht, ist sie dann immer noch rational? Zum anderen ermöglichen sie es sich in andere Menschen hinein zu versetzen, um deren Lernfähigkeit für die Verfolgung der eigenen Ziele einzusetzen.

Effiziente Lernprozesse

Lernprozesse erfolgen nach dem Prinzip der Selbstorganisation. Neben einer äußeren Einwirkung, kann als Auslöser für einen Lernprozess auch ein inneres Bedürfnis zur Veränderung auftreten. Gelernt werden aber nicht Probleme, sondern Lösungen die, die innere Ordnung (Kohärenz) eines Individuums wiederherstellen. Die Reaktions- und Antwortmuster auf ein Problem sind abhängig von den im Lauf des Lebens gefundenen Lösungen. Nur wenn diese ein auftretendes Problem nicht lösen können, entwickelt ein Mensch neue Lösungen, die funktionieren. Von diesen Erfahrungen hängt auch ab, ob etwas als bedeutsam bewertet wird und eine Lernerfahrung auslöst, denn nur als bedeutsam empfundene Dinge können gelernt werden. Dabei können Lebewesen nichts komplett Neues lernen. Lernen baut stets auf vorangegangene Lernprozesse und Lernerfahrungen auf und erweitert diese Lernergebnisse oder fügt diese neu zusammen.

Grundelemente erfolgreichen Lernens

Imitation und Inspiration

Für das Lernen ist eine Anregung durch Andere erforderlich. Menschen lernen indem Sie andere Menschen imitieren und regen andere Menschen zum Lernen an, indem Sie selber imitiert werden. Jeder macht unterschiedliche Erfahrungen in seinem Leben und bereichert die Gemeinschaft, indem er diese Erfahrungen teilt.

Positives Erleben

Aus den individuellen Erfahrungen entstandene Überzeugungen sind stark mit Gefühlen verankert. In diesem Zusammenhang sind positive Erfahrungen mit Beziehungen zu anderen Menschen essentiell, weil dies die komplexe und vielfältige Vernetzung der Nervenzellen im Gehirn und die Stabilisierung dieser bewirkt. Menschen mit einer hohen Empathiefähigkeit liegen hier im Vorteil. Neben sozialen Kontakten sind Bewegung oder das Üben handwerklicher Tätigkeiten, Mittel um das persönliche Wohlbefinden zu steigern und Sie stärken das Selbstbewusstsein, was wiederum im Knüpfen sozialer Beziehungen behilflich ist.

Posttraumatisches Wachstum

Lernen ist stets eine Reaktion auf unsere Umwelt. Lernprozesse werden durch äußere Störungen ausgelöst, die unsere innere Stabilität durcheinnander bringen. Die Wiederherstellung dieser erfordert nun das Auffinden neuer Lösungen, die nicht mehr mit unseren alten Denk- und Handlungsmustern übereinstimmen. In diesem Zusammenhang bezeichnet „Posttraumatisches Wachstum“ oder „Posttraumatische Reifung“ das Phänomen, dass Menschen nach Belastungen, Verletzungen oder Krankheiten veranlasst innerlich zu reifen. Das Meistern von Herausforderungen kann in uns ungeahnte Kräfte auslösen. Auf Bildung und Lernen übertragen würde dies bedeuten durch kleine Belastungen, die kleine Traumata auslösen, seinen Lernerfolg zu steigern. Dies würde kurze Stressphasen, abgelöst von einer langen Erholungsdauer bedeuten, während kontinuierlicher, chronischer Stress zu vermeiden ist.

Folgen für Bildung: Lernen in der Schule

Lernprozesse verstehen

Für die Ausbildung grundlegender sensorischer und motorischer Funktionen sind alltägliche Umweltreize völlig ausreichend. Bei höheren kognitiven Fähigkeiten, kann man von sensitiven Phasen in der Kindheit sprechen, aber nicht von kritischen Phasen, da diese Fähigkeiten auch im höheren Alter nachholbar sind.

Schule vermittelt Fertigkeiten in den Bereichen Lesen, Schreiben oder Rechnen. Diese Fähigkeiten existieren entwicklungsbiologisch erst seit relativ kurzer Zeit und konnten sich daher nicht genetisch verankern (Steinzeitmenschen mussten nicht Rechnen oder Schreiben um zu überleben). Während für den Erfolg von z.B. Leistungssportlern die genetische Veranlagung eine wesentlich größere Rolle spielt, sind für akademische oder administrative Tätigkeiten, soziokulturelle Faktoren entscheidender.

Grundwissen ist in Kindern bereits biologisch verankert, muss aber für die Erfordernisse der realen Welt weiterentwickelt werden. Die Grundlagen für naturwissenschaftliche Kenntnisse erwerben Kinder bspw. durch das aktive Erleben ihrer Umwelt. Diese müssen später angepasst, spezifiziert und erweitert werden. Die Frage die sich in dem Zusammenhang stellt ist, wie neue Informationen in bestehendes Wissen integriert werden können. Verständnisprobleme ergeben sich, weil bereits alternative Erklärungskonzepte vorhanden sind, die dem neuen Wissen widersprechen und dessen Aufnahme behindern (Hebbian Learning). Bildung hat die Aufgabe vorhandenes Wissen zu aktivieren und den aktuellen Wissensstand der Schüler zum Lehrthema festzustellen. Erst dann ist eine Vermittlung von neuem Wissen erfolgsversprechend.

Lernumfeld bereitstellen

Für erfolgreiche Bildungsarbeit ist ein Umfeld nötig, in dem Fehler nur kleine Auswirkungen haben, sodass Kinder aus Fehlern lernen können. Fehler sollten als wichtiges Lernelement begrüßt werden. Einem Lehrer käme hier die Aufgabe zu den Mut seiner Schüler zu stärken, Risiken einzugehen. Ferner ist gerade in der frühen Bildung von einem zu zielgerichteten Lernen oder gar Auswendiglernen abzuraten, da dies die Möglichkeiten des spielerischen Entdeckens einschränkt mit dem Schüler von Zufälligkeiten profitieren. Epigenetische Veränderungen im Laufe des Lebens und die erfahrungsabhängige Plastizität des Gehirns machen seriöse Prognosen über Potential und Werdegang von Kindern nahezu unmöglich. Von einem strikten Lehrplan ist daher abzuraten. Vielmehr besteht die Aufgabe darin eine Lehrbibliothek bereitzustellen, derer sich die Schüler jederzeit bedienen können.

Literatur:

Carey, Susan: Science education as conceptual change. Journal of Applied Developmental Psychology, 21.1, S. 13-19, 2000.

Damasio, Antonio R: Descartes‘ Irrtum: Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. Ullstein eBooks, 2014.

Hüther, Gerald: Mit Freude lernen – ein Leben lang. Vandenhoeck und Ruprecht, 2016.

Juen, Barbara; Öhler, Ulrike; Thormar, Sirry: Posttraumatisches Wachstum bei Einsatzkräften. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin 7, S. 9-19, 2009.

Perren-Klingler, Gisela: Posttraumatisches Wachstum: Eine Antwort auf die Vulnerabilitäts-und Risikokonzepte. Experimentelle und klinische Hypnose 18.1/2, S. 31-41, 2002.

Maercker, Andreas; Langner, Robert: Persönliche Reifung (personal growth) durch Belastungen und Traumata: Validierung zweier deutschsprachiger Fragebogenversionen. Diagnostica 47.3, S. 153-162, 2001.

Saalbach, Henrik; Grabner, Roland H; Stern, Elsbeth: Lernen als kritischer Mechanismus geistiger Entwicklung: Kognitionspsychologische und neurowissenschaftliche Grundlagen frühkindlicher Bildung. Handbuch frühkindliche Bildungsforschung, Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 97-112, 2013.

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