Das Prinzip hinter Ideologie: der Wille und die Möglichkeit
Als der Philosoph der Aufklärung Antoine Louis Claude Destutt de Tracy sein Werk „Éléments d’idéologie“ veröffentlichte, war er damit der erste, der den Begriff der Ideologie benutzte. Er verstand Ideologie als die Wissenschaft von den Ideen und hoffte unter Berücksichtigung von politischen, ökonomischen und sozialen Aspekten, Einblicke in menschliche Verhaltensweisen zu gewinnen. Laut seiner Vision sollte Ideologie die Theologie als Erklärungsmuster und einendes gesellschaftliches Element ersetzen und helfen eine Gesellschaft zu steuern, in der jeder glücklich werden kann. Im Gegensatz zu manchem Zeitgenossen war de Tracy der Ansicht, eine solche Gesellschaft nicht mit den Methoden der Naturwissenschaft und Mathematik herstellen zu können. Ihm war klar, dass Menschen und soziale Systeme keine Maschinen oder Fabriken sind, die man am Reißbrett planen kann. Durch Beobachtung und Ableitung sollten die elementaren Wahrheiten sozialer Systeme erkannt werden, auf denen Ideologie basieren sollte.
Für de Tracys Plan Ideologie umzusetzen sind zwei Dinge notwendig, die sich zu seinen Lebzeiten noch in Entwicklung befanden. Zum einen, der Wille die zukünftige Welt zu verbessern. Dieser Wille ist älter als die Ideologie selbst. Seit der Antike erdachten Autoren wie Platon oder im sechzehnten Jahrhundert Thomas Morus Utopien, die als Kritik an den bestehenden Gesellschaftsverhältnissen zu sehen sind. In der bäuerlichen Kultur Europas waren Erzählungen über utopische Paradiese, wie das Schlaraffenland, weit verbreitet und auch im Christentum ist eine moralische Instanz allgegenwärtig, die auf eine fairere und gerechtere Verwandlung der Gesellschaft drängt.
Der Wille, der hinter Ideologie steckt, hat einen völlig anderen Charakter. Er ist wesentlich näher an der Wirklichkeit. Die technologische und administrative Entwicklung hat Möglichkeiten für Staaten geschaffen, in Sphären einzudringen und Kontrolle auszuüben, die früher undenkbar waren. Das Wissen um diese Möglichkeiten verändert den Willen des Ideologen. Der Wille und die Möglichkeit gehen Hand in Hand. Ein Wille ohne Möglichkeit ist eine nicht zu realisierende Utopie. Möglichkeiten ohne einen Willen dahinter werden niemals umgesetzt. Bereits im antiken Griechenland wurde die Dampfmaschine entwickelt. Den Menschen fehlte aber die Phantasie sie für die Erzeugung von Strom anzuwenden. Die neu geschaffenen Möglichkeiten der Technologie und des Verwaltungsapparats des Staates, regt die Phantasie von Ideologen an ihren Willen anzuwenden und sich dieser Möglichkeiten ausgiebig zu bedienen. Der Ideologe sieht seine Utopie nicht bloß als eine Kritik an den gegenwärtigen Verhältnissen oder einen Zufluchtsort der ihm Hoffnung gibt. Sie stellt für ihn eine alternativlose Zukunft dar.
Zur Zeit der Entstehung ideologischer Strömungen war der Wille zu handeln und bessere Bedingungen für das Leben der Menschen zu schaffen berechtigt, angesichts des Leids und der Armut die vorherrschten. Der Wunsch zur Veränderung war auch beim einfachen Volk vorhanden. Allerdings hat sich Ideologie verselbstständigt und sie hat einen Weg der Selbstüberschätzung und Übertreibung eingeschlagen der es aussichtslos erscheinen lässt, sie wieder auf den Boden der Realität zurückzuholen.
Was ist Ideologie?
Es ist schwierig eine robuste Definition für Ideologien zu finden. Die Evolution von Ideen verändert ihre Auffassung und je breiter die Betrachtung einer Ideologie zeitlich und räumlich gefasst ist, desto größer muss der Abstraktionsgrad ihrer Definition sein. Aber dies würde zum Beispiel nicht jede Verwendung des Begriffes Rassismus erklären. Wenn Sie einen Sklavenhalter aus den US-amerikanischen Südstaaten mit einem SS-Offizier vergleichen finden Sie keine deckungsgleiche ideologische Vorstellung. Sie hatten in vielen Punkten konträre Ansichten, sei es was die Fortpflanzung mit ihren „Untergebenen“ angeht oder die Notwendigkeit „biologischer Expansion“. Das Problem ist, dass Ideologien je nach Kontext eng mit anderen Ideen, Konzepten und Institutionen verwoben sind. Die Institution der Sklaverei konnte sich Jahrtausende lang behaupten, ehe sie durch den Aktivismus von Abolitionisten abgeschafft wurde.
Die einen reden über die „Opfer des Kommunismus“, oder die „Verbrechen des Christentums“. Die anderen behaupten „Kapitalismus tötet“, oder „Nationalismus ist gefährlich“. Aber wie bestimmen wir welche Ideologie für die Opfer und Verbrechen ausschlaggebend ist? Ist eine Ideologie so klar abgrenzbar? Ideologien begehen keine Verbrechen. Menschen tun dies. Die richtige Frage lautet: Kann eine Ideologie für sich genommen, einen Menschen derart beeinflussen, dass er sein ganzes Leben nach ihr ausrichtet und sich in ihren Dienst stellt? Wie steht nun ein Rassist zum Tierschutz? Welche Meinung vertritt ein Nationalist zur Gentechnik? Wie denkt ein Kommunist über Atomkraft? Hier wird deutlich: Ideologien betonen eine Problemstellung des realen Lebens und können für alles andere keine Antwort geben. Die Sache ist wesentlich komplexer als gedacht und wir müssen einen allgemeineren Zugang zum Verständnis von Ideologie finden.
Jeder der einen Grund braucht jemanden zu hassen oder seine Handlungen im Nachhinein rechtfertigen will, braucht eine Theorie. Und diese Theorie ist das Verbindungsstück zwischen der Pseudowissenschaft, dem Wissenschaftismus und dem politischen Aktivismus, über die sich Ideologien ausdrücken.
Das Buch über Ideologie
Lesen Sie weiter wie ein falsches Verständnis von Evolution und Gemeinschaft, Menschen die Pfadabhängigkeit ignorieren lässt, die überall im Leben anzutreffen ist. Dieses Buch konzentriert sich auf die Sachgebiete, die Gegenstand von Ideologie sind (Genetik, Evolution, Geschichte, Wirtschaft, etc.) und zeigt anschaulich die Denkfehler der Ideologen auf.