Chaos, Ordnung und Zufall

von Ioannis Alexiadis

Die Chaostheorie und der Zufall im Leben

Obwohl chaotische Systeme deterministischen Gleichungen unterliegen, können sie im Zeitverlauf nicht prognostiziert werden. Sie sind zwar grundsätzlich berechenbar, weisen aber eine extrem hohe Sensibilität bezüglich ihrer Anfangsbedingungen auf. Dieses Phänomen ist auch als Schmetterlingseffekt bekannt. Minimale Veränderungen der Bedingungen können zu extremen Abweichungen von Ergebnissen führen (der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien, kann einen Wirbelsturm in den USA auslösen). Selbst kleinste Mess- und Rundungsfehler können Prognosemodelle unbrauchbar machen.
Zahlen wie π oder ⅓ werden in vielen Gleichungen benötigt, sind aber unendlich oder zumindest extrem lang. Um mit ihnen rechnen zu können müssen sie vor Eingabe in den Computer gerundet werden. Rundungsfehler sind daher unvermeidlich.

Schwarzer Schwan

Dies führte zur Erkenntnis, dass ähnliche Ursachen bei dynamischen, nicht-linearen Systemen nicht immer ähnliche Wirkungen hervorrufen, wie es in der Vergangenheit stets angenommen wurde. Unerwartete, unwahrscheinliche Ereignisse, die aber verheerende Auswirkungen haben (Schwarze Schwäne) können nicht vorhergesagt werden. Sie lösten in der Vergangenheit oft Krisen, Kriege oder Revolutionen aus.

Soziale Systeme

Soziale Systeme sind dynamisch, nicht-linear und somit auch chaotisch. Soziale Beziehungen entstehen zufällig. Das Ziel von Identitäten ist Kontrolle über diese Zufälligkeit zu erlangen. Individuen definieren sich nicht über soziale Beziehungen sondern über ihre Identitäten. Diese sind kontextabhängig und situationsbedingt verschieden. So kann eine Person in der Familie liebevoll und fürsorglich sein, während sie im Arbeitsalltag völlig gegenteiliges Verhalten zeigt. Menschen suchen sich die Aspekte aus den gesellschaftlich vorhandenen Ordnungen heraus, die zu ihrer aktuellen Lebenssituation und ihrem sozialen Kontext passen. Indem sie diese Ordnungen vermischen, entsteht ihr Weltbild.
Im Wettbewerb der Ideen und Ideologien herrscht aber eine Knappheit an politischen Erprobungsmöglichkeiten. Daher können im realen politischen Prozess, trotz des großen Angebots an Ideen und Ordnungen, nur wenige Ideologien vorherrschend sein.

Das Konzept der Antifragilität

Nicholas Nassim Taleb hat das Konzept der Antifragilität eingeführt. Antifragilität bedeutet, dass Dinge die einem dynamischen, unbeständigen und von Zufälligkeiten abhängigen System angehören, von dieser Unordnung im Zeitablauf profitieren. Religionen werden bspw. in chaotischen Zeiten in denen Unordnung herrscht immer stärker, da Menschen in der Religiosität Zuflucht suchen und die Religion ihnen Halt gibt. Fragile Dinge lieben hingegen Ordnung und müssen diese durch viel Aufwand aufrechterhalten. Zerbrechliche Gegenstände wie Vasen oder Porzellan müssen ständig vor Gefahren beschützt werden, ebenso wie andere fragile Systeme (z.B. das aktuelle Finanzsystem), die ständig in Krisen hineinsteuern. Antifragile Dinge erleiden keinen Schaden durch schwarze Schwäne, sondern ziehen einen Nutzen aus ihnen. Sie machen nur kleine Verluste, erhalten aber verhältnismäßig große Gewinne.

Literatur:

Kreuzer, Edwin: Chaostheorie-nützlich oder vergänglich? Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft, 1995.

Mingst, Alexander: Politische Prozesse und die Rolle von Ideologien: Sinnvolle Geschichten in einer ungewissen Welt. Andrássy Gy ula University, Budapest, 2008.

Taleb, Nassim Nicholas: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen. Pantheon, 2018.

White, Harrison C: Identity and control. Princeton University Press, 2008.

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